Oase für geruhsamen Erholungsurlaub

Die Fremden kommen…in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts für viele Privatzimmervermieter eine besonders spannende, herausfordernde Zeit. Galt es doch, die Räumlichkeiten „gästegerecht“ herzurichten und für die eigene Familie Ersatzzimmer zu finden. Da mussten schon Keller und Dachböden herhalten, damit Räume für die Vermietung frei wurden. Eine große Freude hatte der Nachwuchs der Gastgeber mit den „Fremden“ nicht, der gewohnte, tägliche Ablauf wurde in vielerlei Hinsicht empfindlich gestört. Noch heute stellen viele der damaligen Teenager die Haare auf, wenn dieses Thema angesprochen wird.

Bildpostkarte um 1965, die den Gasthof Bergland mit Ochsengarten bewirbt.

Die Anfänge

Der Fremdenverkehrsverband Haiming wurde 1949 gegründet, erster Obmann war Bäckermeister Josef Egger. 1954 brachte ein holländischer Reiseunternehmer erstmals organisiert Feriengäste nach Haiming, Betten wurden in Haiming und Ötztal Bahnhof angemietet. Fließendes Wasser hatte damals noch keines der Zimmer. Es dauerte bis in die siebziger Jahre, als auch die privaten Zimmervermieter mit komfortableren Unterkünften aufwarteten – von einem WC und einer Dusche im Zimmer war aber noch lange keine Rede. Die Gäste gehörten zum großen Teil der ersten Nachkriegsgeneration an, waren nicht verwöhnt und mit dem zufrieden, was ihnen geboten wurde: Ruhe, Natur, Berge, gutes Essen und
Trinken, Familienanschluss. Aufenthaltsräume hatten die wenigsten Vermieter, das Frühstück wurde meist in den privaten Räumlichkeiten der Vermieter eingenommen, abends saßen alle gemeinsam in der Stube oder auf der Terrasse.

Die Volkstanzgruppe Silberbuam trug wesentlich zur Unterhaltung der Gäste bei. Im Bild von links: Gerhard Zoller, Rita Auderer, Gerda Kapeller, Dora Stigger und Gerda Kolb.

Vermieter, Zimmer und Betten

Vor allem in der Haiminger Siedlung wurden in nahezu jedem Haus Gästezimmer vermietet. Die Einnahmen aus der Vermietung verhalfen den „Siedlern“ zu einem Zusatzeinkommen, das meist für die Rückzahlung der Hausbaukredite verwendet wurde. Im Jahre 1974 existierten in Haiming samt Ortsteilen 28 gewerbliche und 121 (!) private Vermieter. Die meisten Betten (mit Ausnahme des Ferienheimes vom Bund der Jungtiroler) entfielen auf die Pension Pohl von Hermann Pohl (49 Betten), das Fremdenheim Maria Egger (48 Betten), das Hotel Ötztalerhof der Gebrüder Egger (47 Betten), auf den Gasthof Traube der Renate Perwög und der Pension Katharina von Franz Kuprian mit jeweils 42 Betten.

Aber auch in Ötztal-Bahnhof wurde in den Fremdenverkehr investiert. Otto Csikos schreibt 1963 in der Publikation „25 Jahre Entwicklung Ötztal-Forchet“: Während früher mit Ausnahme der Übernachtungsmöglichkeit im Gasthof beim Bahnhof praktisch überhaupt kein Fremdenverkehr vorhanden war, hat Haiming 1960 schon 300 gewerbliche Betten und 200 Privatbetten, die sich etwa zur Hälfte auf das Dorf und Forchet verteilen. Die alten Einkehrgasthöfe im Dorf beginnen sich zu modernisieren und die Siedler bauen Fremdenzimmer, so dass das Dorf in ruhiger Lage abseits der Bundesstraße zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten bekommt. In der Nähe des Bahnhofs sind auch vier neue Beherbergungsbetriebe errichtet worden.

Sogar Gäste aus Japan nächtigten bei Privatzimmervermietern.
Preisliste der Privatzmmervermietung von Hilda Köll

Aufbruchstimmung

Spielte der Wintertourismus anfangs nur eine untergeordnete Rolle, so wurde Mitte der sechziger Jahre eine Neuausrichtung spürbar. Nach dem Unfalltod von Obmann Josef Egger, wurde Mag. Reinhold Plotz bei der Vollversammlung vom 2. Juni 1963 zum neuen Obmann des Fremdenverkehrsverbandes gekürt. Plotz, Direktor des Lignospan-Werkes und Gründungsmitglied des Schiklubs Haiming, sah in der Erschließung von Flächen am Haimingerberg eine große Chance für den Wintertourismus in unserer Gemeinde. Erste Begehungen im Feldringgebiet waren die Folge. Mit dem Konkurs der Lignospan und dem Rückzug von Dir. Plotz aus allen öffentlichen Funktionen landeten auch die Erschließungspläne in der Schublade. Erst unter Ägide von Anton Raffl, der am 31.5.1974 als Nachfolger von Elmar Eiter zum Obmann des FVV Haiming gewählt wurde, kam das Thema „Erschließung Feldringer Alm“ wieder auf das Tapet. Im damaligen Marlsteiner Wirt Johann Neurauter fand Raffl einen gewichtigen Mitstreiter, allerdings stieß das Konzept bei den übrigen Ochsengartner Touristikern auf wenig Gegenliebe.

Um den Erweiterungsbestrebungen mehr Gewicht zu verleihen, haben Raffl und seine Mitstreiter im Jahre 1975 die Ferienregion „Mittleres Oberinntal“ ins Leben gerufen. Diese lose Interessensgemeinschaft zwischen Roppen, Haiming, Silz, Mötz, Stams und Rietz sollte durch gemeinsame Werbeaktivitäten, Auftritte und Projekte den Tourismus im Mittleren Oberinntal stärken und für das Projekt „Feldring“ Stimmung machen. Anton Raffl sagt heute: „Das Konzept wurde von allen Gemeinden mitgetragen, einzig Silz war nicht dafür. Die Bürgermeister Franz Heinz und später Eduard Förg sahen im Feldring-Projekt eine Konkurrenz zu Kühtai. Obwohl 1977 das Konzept unter Beiziehung von Raumplaner DI Bernd Egg ausgereift war, hat sich der Haiminger Gemeinderat schließlich mehrheitlich gegen das Projekt ausgesprochen.“

Bildpostkarte zu Haiming aus den siebziger Jahren.

Gäste im Dorfleben und die Folgen

Der Fremdenverkehr brachte positive wirtschaftliche Auswirkungen. Nicht nur die Vermieter, auch Kleinund Mittelbetriebe schätzten das Zubrot, das ihnen die Gäste verschafften. Lebensmittelgeschäfte, Bus- und Taxiunternehmen, Bäckereien, Metzger, der Einzelhandel, Banken, Tankstellen – besonders die Gasthöfe profitierten vom Aufkommen des Tourismus. Die Gäste der Privatquartiere zogen abends in Scharen zu den Haiminger Gastbetrieben, um mit ihren Familien das Abendessen einzunehmen und sich zu unterhalten. Für das „Entertainment“ sorgten die Haiminger Vereine: Musikkapelle bei den beliebten Platzkonzerten, Silberbuam bei den Tiroler Abenden, der Sportverein bei der Ausrichtung
von Freundschaftsspielen usw.. Viele der Vermieter begleiteten ihre Gäste zu den Veranstaltungen.

Und die Jugend hatte alles im Auge, was da so an exotischen Schönheiten aus dem Ausland in Haiming urlaubte. Das Auskundschaften funktionierte auch ohne Handy exzellent. Liebeleien, Freundschaften, Abenteuer – es spielte sich was ab in den Sommermonaten. Aus manch einem Flirt wurde eine Liebe fürs Leben, es entstanden auch lebenslange Freundschaften.

Abends saßen Vermieter und Gäste meist zusammen am Stubentisch; im Bild die Familie Köll mit der Familie van den Bos (NL).

Günstiger Urlaub

Die Preise waren moderat. Im Sommer 1978 wurde in Privatquartieren für ein Zimmer mit Frühstück 70,00 bis 80,00 Schilling verlangt, die Vollpension in Gasthöfen und Pensionen war zwischen 180,00 und 210,00 Schilling zu haben, im Hotel zwischen 200,00 und 250,00 Schilling. Zum Vergleich: Ein Cornetto kostete 9 Schilling, das Twinni 3,50 Schilling.

Der durchschnittliche Bruttoarbeitslohn in Deutschland betrug im Jahre 1978 ca. 2.200 DM. Für die Bildzeitung zahlte man 30 Pfennig, für einen Liter Normalbenzin 89,3 Pfennig, das Maß Bier am Oktoberfest kostete zwischen 4,10 und 4,35 DM – für drei Maß Oktoberfest-Bier konnte man also locker ein Privatzimmer bezahlen. Für einen nagelneuen Ford Fiesta L 3-türig (46 PS) legte man 9.695,00 DM auf den Tisch.

Treue Gäste erinnern sich

Heinrich Kraus aus Edingen-Neckarhausen: „Beim Besuch des Sängerbundes Seckenheim kam ich 1966 das erste Mal nach Haiming, da habe ich mein Herz an diesen Ort und seine Menschen verloren. Im gleichen Jahr machte ich mit meiner Frau das erste Mal Urlaub in Haiming. Wir wohnten bei Rudolf und Antonia Kapeller für zwanzig Schilling die Nacht. Gegessen haben wir im Stern, in der Traube-Sterzinger wo es den besten Schmarren gab oder bei Frau Kössler im Gasthof Inntal. Das Abendbrot kauften wir bei Hella und Dagmar Raffl bei der Spar, Freundschaft schlossen wir mit Hella und Toni Raffl, sowie mit Peter und Dora Stigger.

Im Jahre 1971 zum 150-Jahr-Jubiläum der Musikkapelle machte der Sängerbund seinen Besuch, wir wirkten bei der Feldmesse vor dem Feuerwehrhaus und am bunten Abend mit der Wiltener Musik mit.“

Ernst Eitel Rindfleisch: „Ich war im Sommer 1972 mit einem Berufskollegen im Tiroler Oberland unterwegs, der eine Möglichkeit zum Kanufahren suchte. Im Ötztal habe ich dabei durch Zufall ein Plakat entdeckt, das auf ein Waldfest der Musikkapelle in Haiming hinwies. Da es genau an diesem Tag stattfand (ein Sonntag), habe ich nach einem kurzen Blick auf die Karte meinen Kollegen gebeten, mich dort hinzufahren und mich nach einigen Stunden dort wieder abzuholen. Auf diesem Fest habe ich dann etliche nette Haiminger Musikanten kennengelernt, sodass ich am nächsten Tag von unserem Urlaubsquartier in Nassereith nach Haiming in den Gasthof Stern gewechselt bin. Diese ersten Kontakte zur Musikkapelle Haiming haben sich dann intensiviert, sodass ich im Folgejahr häufiger nach Haiming gefahren bin und bereits für 1974 einen Besuch der Musikkapelle Haiming bei unserem Schützenfest in Laasphe in die Wege leiten konnte. Es folgten bis 1999 drei weitere Besuche der Musikkapelle bei uns.

Wie häufig ich bis heute in Haiming gewesen bin, kann ich nicht genau sagen, aber wenn man pro Jahr zwei bis drei Aufenthalte rechnet, dann liegen wir bei ca. 120 bis 130 Mal. Meine besondere Beziehung zu Haiming erkennt man sicherlich auch daran, dass ich 1998 in Haiming geheiratet habe. Was ich an Haiming besonders schätze, sind die die guten freundschaftlichen Beziehungen zur Musikkapelle,
die schon fast familiären Beziehungen zu meiner Gastfamilie Angelika und Rudolf Stigger, wo ich mich seit fast 40 Jahren wohlfühle und die günstige Lage zu Ötztal und Pitztal, meinen täglichen Wandergebieten zu den dortigen Almen.“

Seit 50 Jahren Gast in Haiming: Ernst Eitel Rindfleisch, auf dem Foto mit Gattin bei der Segnung des neuen Haiminger Almgebäudes am 21.8.2022.

Was Vermieter sagen

Werner Kuprian vom Haimingerberg: „Unsere Eltern haben Mitte der sechziger Jahre ein neues Haus
gebaut und bei der Planung Vorsorge für Gästebetten getroffen. Dann sind auch schon die ersten Gäste gekommen. Mama hat das Frühstück gemacht, anschließend sind unsere Gäste meist gleich zu Ausflügen und Wanderungen aufgebrochen. Die Gäste kamen hauptsächlich aus Deutschland und Holland, in allen Zimmern hatten wir fließend Wasser. In den letzten Jahren der Vermietung hatten wir dann auch Rafter als Gäste.

Hilda Köll, Ötztal Bahnhof: „Eigentlich hatten wir nie im Sinn Gäste aufzunehmen, aber unsere Nachbarin Annemarie Prünster hat uns an einem Sommertag des Jahres 1972 gebeten, doch ein paar Gäste, die
schon vor der Tür standen, aufzunehmen. Innerhalb weniger Stunden mussten wir dann die Zimmer unserer Kinder leer räumen, um für die Gäste Platz zu machen. Die Kinder wichen dann für einige Wochen in Dachboden und Keller aus. So wurde aus unserem Einfamilienhaus plötzlich ein Gästehaus. Wir haben dann bis Anfang der 90-er Jahre an Gäste vermietet, später doch eine Zeitlang an Arbeiter.“

Das Beste liegt jenseits der Straße – Oase für geruhsamen Erholungsurlaub:

Mit diesem Slogan, mit dem die Ferienregion Mittleres Oberinntal 1977 um Gäste warb, hat die Rückblende im Titel begonnen und mit diesem will ich sie nun auch beschließen.

Manfred Wegleitner, Ortschronist

Ehrung für Ada mit Familie aus den Niederlanden durch die Gastgeber Angelika und Rudolf Stigger.

Vermieter 2022
4 Stern/3 Stern Hotels: 6 Betriebe,
376 Betten
2-/1 Stern Häuser: 7 Betriebe, 182 Betten
Ferienwohnungen gewerblich: 4 Betriebe, 107 Betten
Ferienwohnungen privat: 36 Betriebe, 192 Betten
Privatquartiere: 10 Betriebe, 82 Betten
Sonstige: 4 Betriebe, 180 Betten
GESAMT: 67 Betriebe, 1.119 Betten

Obleute des FVV Haiming ab
1963 (bis zur Fusion mit dem Ötztal Tourismus)

1963-1970 Reinhold Plotz
1970-1974 Elmar Eiter
1974-1979 Anton Raffl
1979-1989 Manfred Egger
1989-1998 Albrecht Götsch
1998-2005 Hubert Plieschnig

Nächtigungen über die Jahre:
1950: 1.602
1970: 56.796
1975: 79.823
1978: 101.856
1982: 88.456
2013: 112.051
2018: 159.167

(Text: Manfred Wegleitner, Bilder: Chronik Haiming, privat)

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