Steht die Mundart vor dem Aus?

„Jede Region liebt ihren Dialekt, sei er doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpfe“ – der große Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe bewertete den Dialekt überragend. Inzwischen, knapp 200 Jahre nach dem Tod Goethes, ist die Alltagssprache des Volkes „verarmt“. Unerbittlich haben Anglizismen, fehlerhafte Grammatik und Rechtschreibung im Eiltempo die deutsche Sprache überrollt. Wortverstümmelungen bei WhatsApp und Twitter verstärkten den Untergang der deutschen Sprache und den Verlust an Dialekten.

Alles halb so schlimm, meinen Sprachforscher. Deutsche Sprache mit ihren Dialekten gehe nicht unter, sie verändert sich nur stetig, schon deshalb, weil sich die Welt in einem früher nicht gekannten Ausmaß und Tempo verändert. „Wir sprechen ja auch nicht mehr so wie im 6. Jahrhundert oder im Mittelalter“, heißt es seitens der Gesellschaft für deutsche Sprache.

Anders sehen es die Betroffenen. Bereits 2008 waren zwei Drittel der Deutschen der Meinung, mit ihrer Sprache gehe es rasant bergab. Als Gründe wurden Internet-Kommunikation, Leseabstinenz, Anglizismen und Jugend-Jargon genannt. Und Achtung: Damals war die Künstliche Intelligenz noch nicht in aller Munde.

Älpler sind mundarttreuer

„Fakt ist, dass sich die Dialekte stark verändern und besonders in nichtalpinen Gebieten rasant zurückgehen“, meint der Salzburger Germanist Hannes Scheutz. Besser steht es mit den Dialekten im Alpenraum, vor allem in den Tälern. Besonders die Schweiz sei hier vorbildhaft. „Dort spricht nahezu jeder – vom Gebildeten bis zum Bauern, Jung und Alt, selbstverständlich im Dialekt“, weiß der Germanist Stephan Elspaß zu berichten.

Sprachliches Minderwertigkeitsgefühl?

Den Fortbestand der Dialekte in Österreich sieht Hannes Scheutz gefährdet. „Der emotionale Aspekt bei Dialekten ist zwar sehr hoch, Dialekte vermitteln ein Heimatgefühl. Aber auch Eltern, die das so empfinden, reden mit ihren Kindern dann meist irgendeine Art von Hochdeutsch. Ich vermute dahinter ein sprachliches Minderwertigkeitsgefühl in Bezug auf Dialekte“, betont der Sprachforscher. „Das häufig vorgebrachte Argument, dass ein dialektsprechendes Kind schulische Nachteile habe, ist wissenschaftlich nicht belegt, im Gegenteil: Je mehr Sprachvarietäten ein Kind kennen lernt, desto besser ist dies für seine sprachliche und kognitive Entwicklung“, sagt Elspaß.

Fehlende Kommunikation

Sind wir „Alten“ einfach keine guten Beobachter oder nähren wir unsere Vorurteile gegenüber der Jugend aus einer Mischung von Unverständnis und dem Festhalten an alten Rezeptionsgewohnheiten? „Die Jungen sind sozial im Verarmungsmodus, sie kommunizieren nur mehr über soziale Medien, sind empathielos. Bei gemeinsamen Zugfahrten mit Schulkollegen oder Freunden wird kein Wort mehr gewechselt, nur in das Handy geglotzt“, so der allgemeine Tenor im Kreis der älteren Generationen. Die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen, denn ähnliche Verhaltensweisen haben sich inzwischen auch die Älteren angewöhnt. Zurück zum Dialekt. Mit dem, vor allem der Handykultur geschuldeten Verarmung der Sprache, hat auch der Dialekt in unseren Breiten an Bedeutung verloren. Vor allem Sachbegriffe aus dem bäuerlich geprägten Milieu sind nicht mehr verständlich oder gar verloren gegangen. Mundart ist spannend Mundart ist hilfreich und interessant, macht sogar sympathisch. Hört man sich etwa Reden von legendären Politikern wie Eduard Wallnöfer (Landeshauptmann von Tirol), Franz Josef Strauß (Ministerpräsident von Bayern) oder Helmut Schmidt (Deutscher Bundeskanzler) an, so imponierte ihr Bekenntnis zur eigenen, ungekünstelten und identitätstreuen Sprache. Bei den drei Herren führten die alttirolerischen, urbayerischen und „plattdütschen“ Ausdrücke, meist angepasst an Situation und Ort des Geschehens, zu positiven Reaktionen – nicht nur bei Anhängern, sondern auch bei politisch Andersgewickelten und Journalisten.

Plädoyer für die Vielfalt

Wichtig ist, dass zugehört wird und gegenseitiges Verstehen herrscht. Und falls mal ein Wort nicht im eigenen Sprachschatz Eingang gefunden hat, kann ja nachfragt werden. Ich persönlich plädiere für die Vielfalt der Sprache, jede und jeder soll reden, wie einem das Maul gewachsen ist. Und wenn in bestimmten Situationen Ausdrücke zu derb oder heftig erscheinen, kann immer noch in das mühevoll erlernte „Hochdeutsch“ gewechselt werden. Wie spannend war es, als man ein umgarntes Mädel schon nach wenigen Sätzen geographisch zuordnen konnte: „Aha, dia kimmt aus U hausn, dia aus Roupen und dia aus Silz“. Ob das heute auch noch so ist?

(Text: Manfred Wegleiter; Fotos: Chronik Haiming, Universität Innsbruck/Augustin Wilcke)

By Eva

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