Die Heimatrolle – nach rund 150 Jahren ausgedient
Nach Abschaffung der Grundherrschaften im Jahre 1848 wurde mit dem provisorischen Gemeindegesetz von 1849 das „Heimatrecht“ eingeführt. Mit dem Reichsgesetz 1863 wurde dann auch die Führung einer „Heimatmatrikel“ zwingend für jede Gemeinde eingeführt. Vermutlich zum Ende des 19. Jahrhundert wurde auch in Haiming die Grundlage für die „Heimatrolle“ gelegt. Ein erster Weg zur Selbständigkeit der Gemeinden Tirols.
Was ist die Heimatrolle?
Das Heimatrecht, worunter die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Gemeinde verstanden wurde, war verknüpft mit dem sich im 19. Jahrhundert entwickelten Gemeinde- und Staatsbürgerschaftsrecht. Die Heimatrolle in Haiming ist ein Buch mit 500 Seiten und ist fünf Kilogramm schwer. Eingetragen wurde der Familienvorstand mit Beruf, das Geburtsdatum, seine Abstammung, das Glaubensbekenntnis, Name mit Geburtsdaten seiner Frau mit ihrer Abstammung sowie seine Kinder mit Daten. Das Heimatrecht konnte ohne Erwerb eines neuen Heimatrechts nicht verlorengehen, sicherte das Recht des ungestörten Aufenthalts, den Anspruch im Armutsfalle auf Unterstützung sowie die Benützung des Gemeindeguts. Die Regelung für den Erwerb sah vor: Eheliche Kinder erhielten das Heimatrecht der Gemeinde, in der der Vater zur Zeit der Geburt heimatberechtigt war, uneheliche Kinder erhielten das Heimatrecht der Gemeinde, in der die Mutter zur Zeit der Entbindung das Heimatrecht besaß, Frauen erwarben durch Heirat das Heimatrecht in der Gemeinde ihres Mannes. Das Heimatrecht konnte auch durch ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalt in dieser Gemeinde sowie durch einen Aufnahmebeschluss des Gemeinderates erworben werden.
Das Heimatrecht galt in Österreich bis 1939. In einer keinesfalls nach freien und demokratischen Grundsätzen vollzogenen Volksabstimmung am 10. April 1938 votieren 99 Prozent der Österreicher – so auch in Haiming – für den Anschluss an das nationalsozialistisch regierte Deutsche Reich. Die verpflichtete „Deutsche Staatsbürgerschaft“ mit 30.06.1939 beseitigte das Heimatrecht. Die bisherige österreichische Bundesbürgerschaft entfiel, es galt nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Aufnahme in die Heimatrolle – auch für viele Haiminger – unentbehrlich
In den kurz gefassten Haiminger Gemeinderatsprotokollen – das erste liegt vom 11. Jänner 1886 vor – geht es häufig um Fälle, mit denen sich der Gemeinderat aus der Verpflichtung für Personen, die in der Heimatrolle aufscheinen und von Armut betroffen sind. Aber auch die damit erworbenen Rechte waren sehr begehrt. So ist etwa im Protokoll vom 11. Jänner 1886 festgehalten: „Zum Ansuchen der Gemeindevorstehung Jerzens um die Todfallskosten zu bezahlen für das Kind des Alois Waldhart namens Josef wurde entschieden, dass der Alois Waldhart hier kein Vermögen mehr besitzt, zahlen wird die Gemeinde.“ Im Protokoll vom 11. Juli 1893 beschäftigte sich der Gemeinderat mit dem „Ansuchen der Kreßzenz Stecher, die ins Armenhaus aufgenommen werden sollte, was der Gemeinderat jedoch ablehnt“.
Bei Machtübernahme durch Hitler 1938 wurden die Gemeinden aufgefordert, die Heimatrolle zu entsorgen. Der Gemeindeamtsleiter dieser Zeit, Hermann Maurer, erzählte, dass er der Aufforderung zur Entsorgung der Heimatrolle nicht entsprochen, sondern das Buch lediglich „versteckt“ hatte.
Nach Kriegsende 1945 bildete der Nachweis des Heimatrechts die Grundlage für die österreichische Staatsbürgerschaft. Um diese zu erlangen, war die Vorlage des „Heimatscheins“ notwendig. Die von der Haiminger Gemeindeverwaltung 1938 nicht entsorgte Heimatrolle bildete die Voraussetzung für eine rasche behördliche Abwicklung.
Die ab den 1950er Jahren entstandenen Sozialgesetze haben die Menschen auch freier, selbständiger und unabhängiger gemacht. Der Heimatschein hat heute im Wesentlichen ausgedient. Dies ist auch ein Grund, das wertvolle „Originalbuch“ im Sinne der Tiroler Archiv-und Benützungsordnung einer Sicherung im Gemeindearchiv zu zuführen.
Für Personen, die an einer Familienchronik interessiert sind, bieten die hergestellten Kopien Gelegenheit, die Abstammung ihrer Vorfahren bis in die Jahre um 1850 durch Einsichtnahme problemlos zu erkunden. Einige Interessierte werden dabei auch erkennen können, woher der Hausname „Zachers“, „Luges“ oder „Desn“ stammt.
(Text und Abbildungen: Anton Raffl)