Zur Geschichte des „stillen Örtchens“
Antike
Die ältesten Zeugnisse sanitärtechnischer Erfindungen finden sich im Zweistromland, in Ägypten, auf Kreta und bei den Induskulturen in Asien. Am oberen Lauf des Euphrats (heute Syrien) wurden bei Grabungen Rohrsysteme entdeckt. Es kamendrei Leitungstypen zur Anwendung: Rechteckige Gräben mit Seitenwänden aus Kies, Lehm und Kalksteinen, kleinere Rinnen mit U-förmigem Querschnitt aus gebranntem Ton und Muffenrohrleitungen mit unterschiedlich weiten Enden, die zu langen Leitungen aneinandergefügt werden konnten. Die Abwässer wurden nach außen geleitet oder auch innerhalb der Grundstücke zur Versickerung gebracht.
Im Nordpalast von Tell Asmar (heuteIrak, etwa um 2900 v. Christus) fanden Archäologen mindestens sechs Sitzklosetts und fünf Waschplätze mit Anschluss an einen Kanal. Die ältesten Funde von realen Toiletten in Ägypten befinden sich in der Stadt Kahun (ca. 1900 v. Christus). Auch die minoische und mykenische Kultur in der Ägäis mit ihren prachtvollen Tempeln aus der Zeit um 2000 v. Chr. besaß eine hoch entwickelte Sanitärkultur. Dass die Römer eine auch für die heutige Zeit außergewöhnlich hygienische und moderne Toilettenkultur hatten, ist unbestritten. Sie verfügten seit dem 1. Jahrhundert vor Christi über Badehäuser, Thermen und Latrinen, deren Fäkalien über Kanäle abgeleitet wurden. Auf den „Toiletten“ konnten bis zu achtzig Personen nebeneinandersitzen, Männer und Frauen gemischt, ohne Trennwände. Der Toilettengang wurde zu einem geselligen Ereignis. Gerber machten mit dem Urin für die Bearbeitung von Tierhäuten sogar ein gutes Geschäft – sie stellten Amphoren auf, in die Vorbeigehende urinieren konnten. Der Staat belegte dieses Geschäft mit Steuern – Kaiser
Vespasian verteidigt diese Verordnung mit der heute noch geläufigen Redewendung „Geld stinkt nicht“.
Mittelalter
Weit weniger hygienisch ging es im Mittelalter zu. Auf dem Land erleichterten sich die Leute auf Feldern und Äckern, in den kühleren Jahreszeiten in den Ställen. Viel schlimmer war die Situation in den Städten, denn über Aborte verfügte nicht jedes Haus. Außerdem gab es keine Kanalisation und so landeten die Hinterlassenschaften von Menschen und Vieh in der Gosse. In den Burgen gab es vereinzelt eine Art Erker mit Plumpsklo, die Exkremente fielen dann draußen an der Burgmauer direkt in den Graben. Den meisten Menschen blieb nur das Loch in der Erde. Wie die reinlichen Katzen bedeckten sie ihren Kot mit Erde oder Strauchwerk. Fäkalien hatten in Form von Urin, Mist und Jauche aber auch eine wirtschaftliche Bedeutung als Dünger, der für die Bewirtschaftung der Felder eingesetzt wurde und die Erträge erheblich steigerte. Die Verrichtung der Notdurft nach der Körperhaltung des Stehens, Hockens oder Sitzens war für die Gestaltung der Aborte maßgeblich. Als einfachste Vorrichtung gilt das Stehoder Hockklo, bei dem sich lediglich im Boden eine Öffnung befindet, in welche die Ausscheidungen fallen. Für den Sitzkomfort sind weitere Vorrichtungen nötig. Sehr fortschrittlich ging es in den Klöstern zu. Insbesondere die hygienetechnischen Einrichtungen der Zisterzienser ähnelten denen der Römer. Von Bodenheizung über wassertechnisch perfekt eingerichtete Bäder und 23 Latrinen war in deren Abteien alles zu finden.
Schamgefühle
Mittelalterliche Darstellungen zeigen, dass es beim Verrichten der Notdurft zunächst keine Geheimnisse und Schamgefühle gab. Der ungenierte Umgang mit der Notdurft führte auch dazu, die Zeit auf dem Klo für Geschäfte zu nutzen. Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde auf den Latrinen gefeilscht, sogar in Herrschaftskreisen. Aus dieser Zeit stammen auch die Bezeichnungen „auf
den Thron gehen“ oder „das Geschäft verrichten“. Innerhalb der Familie gab es noch bis ins 19. ahrhundert Gemeinschaftssitze.
Die Scham entwickelte sich regional und zeitlich sehr unterschiedlich. Heute erfolgt der Gang zum stillen Örtchen allein und möglichst unbeobachtet.
Reinigung
Von römischen Latrinen gibt es Berichte, die besagen, dass sich die Benutzer mit einem an einem Stock befestigten Schwamm und Salzwasser reinigten. In anderen Breiten wurden für die Reinigung lange natürliche Materialien wie Stroh, Moos und Gras verwendet. In Deutschland wurde das erste Toilettenpapier 1880 hergestellt. Für das einfache Plumpsklo wurde aber bis in das 20. Jahrhundert meist zugeschnittenes Zeitungspapier verwendet.
Wasserklosett
Das britische Universalgenie Alexander Cumming gilt als Erfinder des modernen Wasserklosetts. Er entwickelte 1775 ein S-förmiges Rohr (Siphon), das auch heute noch in WCs eingebaut ist. In die Praxis umgesetzt und in Betrieb genommen wurde daserste Wasserklosett dann erst 1810. Bis zur Ausbreitung in alle Ecken der Länder Europas dauerte es allerdings bis weit in das 20. Jahrhundert.
Plumpsklos mit Sickergruben und Nachttöpfe unter der Bettstatt waren die gängigen Einrichtungen, um den Menschen „Erleichterung“ zu verschaffen. Erst durch den Ausbau der Wasserleitungssysteme und der Kanalisation kam es im Laufe der Zeit zu einer fortschrittlichen Sanitärtechnik.
Der Abort bei uns
Im Bezug auf die Sanitärtechnik waren wir Mitteleuropäer gegenüber den alten Hochkulturen (mit Ausnahme der römischen Episode) äußerst rückschrittlich. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass sich die beeindruckende, moderne Sanitärtechnik auch bei den Hochkulturen auf lokale Ballungszentren beschränkte. In abgelegenen, ländlichen Regionen stellte sich die Situation ähnlich wie in unseren Breiten dar. Auch in Haiming dauerte es bis in die 1950-er Jahre, bis sich das Wasserklosett etablieren konnte. Vor allem der verstärkte Siedlungsbau führte zum Niedergang der Plumpsklos. Die neuerrichteten Häuser wurden in den meisten Fällen mit Badewanne und Wasserklosett ausgestattet. Nicht so rasant verlief diese Entwicklung bei den bäuerlichen Höfen. Hier waren vereinzelt und nachweisbar bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts Plumpsklos in Verwendung. Meist zwischen Wohngebäude und Stadel, an der Außenfassade des Gebäudes oder etwas abseits separat stehend auf der Wiese platziert, gehörte der Abort in einfacher Bretterbauweise zum „Standard“. Die Entsorgung der Plumpsklos erfolgte in der Regel je nach Konsistenz (in den meisten Gruben fanden sich die Fäkalien von Menschen und der Urin des Viehs – der Kot von Rindern und Schweinen wurde separat auf „Misthaufen“ verfrachtet und dann mit einem Karren, später mit dem Traktoranhänger als Dünger auf Felder und Äcker verfrachtet) mit der Mistgabel, einer Schaufel und einer Kelle mit langem Stiel. Die flüssigen Exkremente wurden im Herbst oder Frühjahr mit einem Saugrohr in den „Surbonzn“ gepumpt und ebenfalls auf die Felder verbracht. In den Gemeinden gab es Personen, die sich mit der Entsorgung von Fäkalien einen Zuverdienst verschafften, der oft in Form von Naturalien wie Schnaps geleistet wurde. Aus Erzählungen von alten Haimingern habe ich erfahren, dass Schulbuben, die den Unterricht störten, mit dem Abortausheben (im alten Gemeindehaus am Winkelweg) bestraft wurden. Es ist auch vorgekommen, dass kleine Kinder durch das Loch im Abort gerutscht sind. Die Notdurft bei Dunkelheit zu verrichten, glich einem „Glücksspiel“, da die Aborte in der Regel über kein künstliches Licht verfügten und es vorkam, dass „einiges“ daneben ging. Schlaue nahmen sich die aus alten Zeitungen gewonnen, geviertelten Blätter mit auf den Abort – wer das nicht tat, lief Gefahr, nichts bei der Hand zu haben, um sich den Hintern zu säubern. Glattes Papier aus Magazinen war eher ungeeignet, besser waren die Zeitungsseiten
von Tageszeitungen oder der Bauernzeitung. Die Zettelchen hingen an der Bretterwand, aufgespießt auf einem rostigen Nagel. Lange „Sitzungen“ kamen aus mehreren Gründen nicht in Frage. Im Winter herrschte in den zumeist einfachen Verschlägen Eiseskälte, im Sommer kamen auf ihren Beutezügen durch die Bretterritzen gerne Spinnen in den Abort und verirrten sich zuweilen auf intime Körperteile der gerade mit dem großen Geschäft Verweilenden. Und große „Sicherheit“ für die Bewahrung der Privatsphäre boten die einfachen Aborte auch nicht. In den meisten Fällen wurde die Brettertür mit einem einfachen Holzriegel versperrt, der von außen mit etwas Geschick leicht zu entriegeln war. Es konnte aufgrund der Wohnungsverhältnisse auch ein regelrechter Andrang auf den Abort ergeben. So gestaltete sich der Weg zum „stillen Örtchen“ in Wohnhäusern mit mehreren Parteien manchmal zu einem wahren Spießrutenlauf. Da herrschten unter Jugendlichen raue Sitten. In Wohnhäusern, in denen erst spät Wasserklosetts mit entsprechender Einrichtung installiert wurden, kam es für dort wohnhafte, vor allem junge Menschen, zu unangenehmen Situationen. Hatten sich Gäste angesagt, so entfachten sich wahre Angstzustände, da sich Teenager ob der „hinterwäldlerischen“ Sanitärsituation
in Grund und Boden schämten, wenn ein Gast nach dem WC fragte. In Haiming begann die umfassende Kanalisierung in den 1970er Jahren. Die Abwässer werden heute über ein ausgedehntes Kanalsystem in die Anlagen des Abwasserverbandes Stams und Umgebung zugeführt, wo sie geklärt und dem Inn zugeführt werden. Der aus der Behandlung übrig gebliebene Klärschlamm wird je
nach Zusammensetzung als Dünger verwendet oder in thermischen Verfahren eingesetzt. Gebäude, die über keinen Kanalanschluss verfügen oder verfügten, entsorgen Fäkalien immer noch über das Sickergrubensystem mit Klärgruben. Als einer, der das „Abortzeitalter“ im wahrsten Sinne des Wortes noch hautnah er- und überlebte, möchte ich jüngeren Lesern des Haiminger
Blattls vor Augen führen, mit welchem Komfort und Luxus sie bezüglich Hygiene ihr Dasein fristen.
Einiges an Vokabular und Sprüchen zur Peinlichkeit der Ausscheidungen
„Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmeckt?“
(Martin Luther, Reformer)
„Und du sollst draußen vor dem Lager einen Ort haben, wohin du zur Not hinausgehst. Und sollst eine Schaufel haben; und wenn du gesessen hast, sollst du zuscharren, was von dir gegangen ist“.
(Moses 5, Vers 23) Altes Testament
„Natürliche Dinge sind nicht unanständig.“
(Römischer Leitspruch)
Kacken:
Lateinisch „cacare=besudeln“
Scheißen:
Vulgärbegriff; aus dem mittelhochdeutschen schizen und dem indogermanischen skhid
Toilette:
Vom französischen Wort toile=Tuch, das man als Sichtschutz verwendete
Klo, Klosett: Vom englischen „Closed“ = geschlossen
(Text: Manfred Wegleiter; Fotos: Johann Zauner, pixelio.de: Susanne Ulmke und tokamuwi)
Quellen: Plumpsklo, Abort, Stilles Örtchen; von Mila Schrader; erschienen 2003 in der Edition „anderweit GmbH in D-29556 Suderburg- Hösseringen. Private Erinnerungen und Erzählungen aus der Haiminger Bevölkerung